Der "heilige" öffentliche Raum in Chemnitz ist in den letzten Tagen und Wochen um einige Kunstwerke reicher geworden. Wobei mir nicht Wenige beim Wort "reicher" wahrscheinlich widersprechen würden. Von Unverständnis über Empörung und interessanten unterschiedlichen Interpretationen bis zur Begeisterung finde zumindest ich in meiner Social Media Blase so wirklich alles an möglichen Reaktionen. Und das ist gut so. Es ist Kunst.
Die Kunstprojekte im öffentlichen Raum sind im Rahmen von "GEGENWARTEN | PRESENCES Kunst Stadt Chemnitz" entstanden. Eine Ausstellung die sich in ihren ortsspezifischen Arbeiten – Interventionen und Skulpturen, Installationen und Performances – mit Chemnitz, seiner Geschichte und Gesellschaft auseinandersetzen möchte. Eröffnung war heute im Stadthallenpark.
Bereits im Juli wurde die Bazillenröhre zum Projekt AORTA und das Observatorium errichtete die Arbeit WANDELGANG, eine temporäre Architektur in Form eines Stadttors, die als Landmarke und Blickfang am Ende der Brückenstraße die Aufmerksamkeit auf den "unsichtbaren Fluss" Chemnitz lenken soll.
Und nun kamen noch 18 weitere Arbeiten hinzu, wie das Projekt VERSENKEN von Roman Signer im Schlossteich, DER DARM von Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčováoder auf dem Schillerplatz oder NEUN NEUE GÄRTEN von den Gartenkünstler*innen Atelier Le Balto auf dem Platz an der alten Post.
In den sozialen Medien erlebe ich gerade mal wieder, wie das Betrachten von Kunst im öffentlichen Raum zur Quelle des Ärgers werden kann, vor Allem weil jeder erstmal Antworten verlangt, von der Kunst aber keine bekommt. Ein bekannter, und ganz bestimmt nicht nur ein exklusiver Reflex der Chemnitzer. Die Arbeiten werden schnell abgeurteilt und als Gehässigkeit der Künstler aufgefasst. Nur Wenige nutzen diese besondere Eigenschaft der Kunst, um vielleicht sogar etwas zu lernen.
Das kommt wahrscheinlich daher, dass Menschen in der Regel Kunst mehr oder weniger bewusst nach zwei Kriterien beurteilen und das noch bevor die Arbeit seine Wirkung entfalten kann:
"Gefällt es mir oder nicht?"
Wird dieses Kriterium nicht mit der nötigen Befriedigung bejaht, kann es weg, wie der Volksmund sagt. Hier kommt meiner Meinung nach das erste Missverständnis: wenn es um Kunst geht, sollte prinzipiell jeder auf seinen persönlichen Geschmack hören, beim Betrachten einer Ausstellung oder so einem Public Art Projekt wie GEGENWARTEN geht es primär aber erst einmal nicht um Gefallen oder Nicht-Gefallen.
Die zweite gängige Frage lese ich auch oft, was das denn sein soll. Diese Frage hat uns erst die klassische Moderne und die mit ihr einhergehende Abstraktion eingebracht. Als Kunst noch durchgängig realistisch und gegenständlich war, war sie einfacher zu beantworten. Mit derartiger Kunst konfrontiert, entstehen im Kopf des Betrachters oft Heerscharen an Bildern. Mit diesen Deutungen versucht des jeden Intellekt einzuordnen und zu deuten, was er zunächst nicht versteht. Zu einigen Arbeiten von GEGENWARTEN habe ich jede Menge gegenständliche Assoziationen gehört, die mir selbst niemals eingefallen wären. An und für sich sind sowohl die Frage des Geschmacks als auch der Wunsch nach Deutung vollkommen in Ordnung und legitim. Im Rahmen von GEGENWARTEN habe ich diese Frage aber viel zu früh gehört, nicht zuletzt verbunden mit einer voreiligen Bewertung verstellt man sich schnell den Weg, das Werk wirklich zu verstehen. Assoziationen sind super. Wir sollten uns bloß dessen bewusst sein, dass sie unsere eigenen, und als solche erst einmal subjektiv sind.
Kunst kann funktionieren, sei sie auch noch so schräg, wenn wir denn unsere Wertungen und Deutungen erst einmal hintenan stellen. Ich denke Kunst, speziell Arbeiten die wir im Rahmen von GEGENWARTEN sehen, sollte immer erstmal beobachtet und dann gelassen analysiert werden, es gibt dabei kein Falsch oder Richtig. Es geht um die reine Beobachtung. Objektiv bleiben. Ich denke die größte Herausforderung liegt eben beim Betrachten von Kunst darin, über eigene gewohnte Denkmuster hinauszuwachsen. Also nimmt man sich genügend Zeit und versucht offen zu bleiben. Das macht es leichter und auch spannender. Eine Prise Hintergrundwissen kann auch nicht schaden, das muss kein Fachbuch sein, oft reicht der Ausstellungsflyer oder die Website des Projekts. Auf der Seite werden übrigens auch Führungen angeboten. Oder sucht euch eine Begleitung, die sich etwas auskennt. Ich selbst google mir vorher über den/die Künstler*in etwas zusammen, das macht das Werk oft greifbarerer und begeistert manchmal sogar Menschen, die sich aus Prinzip nicht darauf eingelassen hätten.
Kunst gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen, das war schon immer so. In diesem Sinne, bleibt entspannt und viel Spass mit "GEGENWARTEN | PRESENCES Kunst Stadt Chemnitz", einer Ausstellung der KUNSTSAMMLUNGEN Chemnitz im öffentlichen Raum, vom 15.August 2020 bis 25.Oktober 2020: www.gegenwarten.info
Photos: Gegenwarten.info Instagram @kassandraoptimista
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